Bei der Reihenentwicklung geht es darum, Funktionen z.B sin oder exp durch eine Potenzreihe, also durch eine Funktion der Form $$ f(x) = a_0 + a_1 x + a_2 x^2 + ... = \sum_{n=0}^{\infty} a_n x^{n} $$ auszudrücken. Aber wie findet man die Koeffizienten ai?
Für eine ganzrationale Funktion n. Grades benötigt man n+1 'Stützstellen' oder Bedingungen, um die Koeffizienten a0 , ... , an zu berechnen. Diese Bedingungen können Punkte auf dem Graphen von f sein oder Aussagen wie 'an der Stelle x=.. liegt eine Wendestelle vor' oder Ähnliches. Man erhält dadurch ein Gleichungssystem mit n+1 Gleichungen.
\( f(x) = \sum_{n=0}^{\infty} \frac {1}{n!} f^{(n)}(x_0) x^n \) \( = \frac {1}{0!} f(x_0) + \frac {1}{1!}f^{(1)}(x_0) x + \frac {1}{2!} f^{(2)}(x_0) x^2 + ...\)
Der n. Koeffizient lautet demnach
$$ a_n = \frac {1}{n!}f^{(n)}(x_0) $$
Wird die Funktion an einer beliebigen Stelle x0 entwickelt, gilt $$ f(x) = \sum_{n=0}^{\infty} \frac {1}{n!} f^{(n)}(x_0) (x-x_0)^n $$
Anmerkung: 0! = 1
Entwickelt man an einer beliebigen Stelle x0, verschwinden die Summanden mit den Faktoren (x-x0) ebenfalls wie im speziellen Fall die Summanden mit dem Faktor x, und es folgt die allgemeine Form der Taylor-Reihenentwicklung.
Wofür braucht man das?
1. Man kann erst durch die Reihenentwicklung die Funktionswerte praktikabel berechnen! Denn es genügt in der Regel, nur die Summe einer sehr begrenzten Anzahl von Summanden der Potenzreihe zu berechnen und die restlichen Summanden zu vernachlässigen. Beispiele für die Potenzreihenentwicklung von Funktionen (entwickelt an der Stelle x0 = 0):
In der Tabelle sind die Funktionswerte sowie die Werte für die ersten 5 Ableitungsfunktionen an der Stelle 0 angegeben:
| f(x) | sin x | cos x | ex |
| f(0)(0) | sin 0 = 0 | cos 0 = 1 | e0 = 1 |
| f (1)(0) | cos 0 = 1 | -sin 0 = 0 | e0 = 1 |
| f (2)(0) | -sin 0 = 0 | -cos 0 = -1 | e0 = 1 |
| f (3)(0) | - cos 0 = -1 | sin 0 = 0 | e0 = 1 |
| f (4)(0) | sin 0 = 0 | cos 0 = 1 | e0 = 1 |
| f (5)(0) | cos 0 = 1 | - sin 0 = 0 | e0 = 1 |
Man erkennt, dass beim Einsetzen der Ableitungswerte f(i) (0) bei der Sinus-Funktion die Summanden mit geraden Exponenten und bei der Cosinus-Funktion die Summanden mit den ungeraden Exponenten herausfallen, weil die jeweiligen Werte der Ableitungsfunktionen Null ergeben. Die Vorzeichen der verbliebenen Summanden alternieren.
Die Taylor-Entwicklung der e-Funktion erschließt sich ebenfalls aus den Werten für die jeweiligen Ableitungsfunktionen.
Anmerkung: Bei trigonometrischen Funktionen verwendet man das Bogenmaß.
Als Beispiel für die Näherung diene die e-Funktion an den Stellen x = 1 und x = 2.
In der Tabelle sind die genäherten Funktionswerte für die Potenzreihe angegeben, wenn man vorzeitig abbricht:| e1 ≈ | \( \sum_{n=0}^{3} \frac {1}{n!} 1^{n} \)= 2,667 | \( \sum_{n=0}^{5} \frac {1}{n!} 1^{n} \) = 2,7166 | \( \sum_{n=0}^{10} \frac {1}{n!} 1^{n} \) = 2,718281801 | \( \sum_{n=0}^{\infty} \frac {1}{n!} 1^{n} \) = 2,718281828... |
| e2 ≈ | \( \sum_{n=0}^{3} \frac {1}{n!} 2^{n} \)= 6,33 | \( \sum_{n=0}^{5} \frac {1}{n!} 2^{n} \)= 7,2666 | \( \sum_{n=0}^{10} \frac {1}{n!} 2^{n} \) = 7,388994709 | \( \sum_{n=0}^{\infty} \frac {1}{n!} 2^{n} \) = 7,389056099 |
Durch den Faktor 1/n!werden höhere Glieder schnell sehr klein. Abhängig von der gewünschten Genauigkeit kann man sie dann weglassen.
2. Eine weitere Anwendung ist die Herleitung bestimmter Näherungsformeln. Für einen schnellen Überschlag sind solche Formeln hilfreich.
Beispiel:
| f(x) = | $$ \frac {1} {\sqrt{1 - x}}$$ | ≈ | $$ 1 + \frac {1} {2} x$$ | für | x | << 1 |
| f(x) = | $$ \frac {1} {\sqrt{1 - x}}$$ | ≈ | $$ 1 + \frac {1} {2} x + \frac {3} {4} x^2 $$ |
Der Ausdruck | x | << 1 bedeutet, dass man betragsmäßig nur sehr kleine Werte für x einsetzen soll, um gute Näherungen zu erhalten.
Man stellt die Funktion als Potenzreihe dar (entwickelt an der Stelle Null) und bricht nach dem 2. Glied ab. Die Vernachlässigung höherer Glieder wird dann durch die Faktoren xn mit n>1 gerechtfertigt, weil x nach Voraussetzung betragsmäßig klein sein muss.
Sei x = 0,02. Dann ist f(x) näherungsweise 1,01. Mit Taschenrechner: 1,01015...
Weitere Beispiele:
| f(x) = | $$ \frac {1} {\sqrt [n]{1 \pm x}}$$ | ≈ | $$ 1 \mp \frac {1} {n} x $$ | für | x | << 1 |
| f(x) = | $$ \frac {1} {1 \pm x^2}$$ | ≈ | $$ 1 \mp x^2 $$ | für | x | << 1 |
3. Durch die Reihenentwicklung lässt sich die berühmte Gauss-Gleichung sofort herleiten: $$e^{\pi i} + 1 = 0 $$
i ist in der Menge der komplexen Zahlen die imaginäre Einheit mit i2 = -1. Ansonsten können die 'normalen' Rechenregeln verwendet werden.
Es genügt, in die Gleichung $$e^{\alpha i} = cos \alpha + i \text{ } sin \alpha$$ α = π einzusetzen. Man erhält sofort die Gauss-Gleichung, denn es gilt: cos π = -1 und sin π = 0.
Es gilt: i2 = -1. Weiter: i3 = i2 · i = - i sowie i4 = i2 · i2 = 1.
Man betrachtet einfach die Taylor-Entwicklungen der Funktionen cos x , sin x sowie ex und setzt entsprechend ein.
\( cos(x) = 1 - \frac {1}{2!} x^2 + \frac {1}{4!} x^4 - \frac {1}{6!} x^6 + \frac {1}{8!} x^8 - \text{ } ... \)
\( i \text{ } sin(x) = i \text{ } (x - \frac {1}{3!} x^3 + \frac {1}{5!} x^5 - \frac {1}{7!} x^7 + \text{ } ...) \text{ } = \text{ } ix - i \frac {1}{3!} x^3 + i \frac {1}{5!} x^5 - i \frac {1}{7!} x^7 + \text{ } ... \)
und
\( e^{ix} = 1 + ix + \frac {1}{2!} (ix)^2 + \frac {1}{3!} (ix)^3 + \frac {1}{4!} (ix)^4 + \frac {1}{5!} (ix)^5 + \text{ } ... \text{ } \)
\( = 1 + i \frac {1}{1!} x - \frac {1}{2!} x^2 - i \frac {1}{3!} x^3 + \frac {1}{4!} x^4 + i \frac {1}{5!} x^5 - \text{ } ... \)
| 4. In der Relativitätstheorie spielt der Term | $$ \frac {1} {\sqrt {1 - \frac {v^2}{c^2}}}$$ | eine große Rolle. |
Mit der Näherung
$$ \frac {1} {\sqrt {1 - \frac {v^2}{c^2}}} \approx 1 + \frac {1}{2}\frac {v^2} {c^2}$$
lässt sich die berühmte Formel der Äquivalenz von Energie und Masse
$$E = m c^2 = \frac {m_0}{\sqrt {1 - \frac {v^2}{c^2}}} c^2$$
ausdrücken durch
\( E = m c^2 = \frac {m_0}{\sqrt {1 - \frac {v^2}{c^2}}} c^2 \) \( \approx (1 + \frac {1}{2}\frac {v^2} {c^2}) m_0 c^2 = m_0 c^2 + \frac {1}{2} m_0 v^2 \)
m entspricht der dynamischen Masse eines Objekts, m0 seiner Ruhemasse.
Die Energie eines Objekts ist demzufolge die Summe seiner Ruheenergie m0 c2 und seiner kinetischen Energie \( \frac {1}{2} \) m0 v2.
Verallgemeinert folgt daraus, dass die in der klassischen Physik getrennten Erhaltungssätze der Masse und der kinetischen Energie in der speziellen Relativitätstheorie verschmelzen zu einem Erhaltungssatz, dem der Erhaltung der dynamischen Masse!